Veranstaltung: | JVV |
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Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | JVV 2023 |
Beschlossen am: | 17.11.2023 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Positionspapier zu Klimaschutz und Klimagerechtigkeit
Beschlusstext
Die Auswirkungen der Klimakrise sind längst mess- und sichtbar. Die
gesellschaftlichen und historischen Ursachen sind vielfach wissenschaftlich
belegt. Neben erheblichen sozialen und ökonomischen Problemen drohen durch eine
weitere Erhitzung des globalen Klimas irreversible Schäden für Natur und Umwelt.
Wir leben im Zeitalter des Kapitalozäns: Der Ursprung der Klimakrise liegt in
kapitalistischen und kolonialen Strukturen.[i] Daher sind Länder und Menschen
des Globalen Nordens1 in besonderem Maße für die Klimakrise verantwortlich.
Historisch gesehen haben sie den Großteil der Treibhausgasemissionen
ausgestoßen.[ii] Trotzdem sind Länder und Menschen des Globalen Südens1 schon
seit Generationen am stärksten von den Folgen der Umweltausbeutung und der
Klimakrise betroffen. Sie gründeten Widerstands- und Umweltbewegungen dagegen.
Zudem spüren insbesondere junge und nachfolgende Generationen, von (Mehrfach-
)Diskriminierung betroffene Menschen und Menschen in prekären Lebenssituationen
die Auswirkungen der Klimakrise in besonderem Maße.
1 Die Begriffe "Globaler Norden" und "Globaler Süden“ verweisen nicht auf
geografische Kategorien. „Mit dem Begriff Globaler Süden wird eine im
globalen System benachteiligte gesellschaftliche, politische und
ökonomische Position beschrieben. Globaler Norden hingegen bestimmt eine
mit Vorteilen bedachte Position. Die Einteilung verweist auf die
unterschiedliche Erfahrung mit Kolonialismus und Ausbeutung, einmal als
vor allem Profitierende und einmal als vornehmlich Ausgebeutete“ (glokal
2013).
Quelle: glokal 2013: Mit kolonialen Grüßen. Berichte und Erzählungen von
Auslandsaufenthalten rassismuskritisch betrachtet. URL:
https://www.glokal.org/wp-
content/uploads/2013/09/BroschuereMitkolonialenGruessen2013.pdf,
S. 8, aufgerufen am 23.09.2023.
Um die Folgen der Klimakrise einzudämmen, hat sich die internationale
Staatengemeinschaft 2015 mit dem Pariser Abkommen darauf verständigt, die
globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen und
Anstrengungen zu unternehmen, eine maximale Erwärmung von 1,5 Grad Celsius
anzustreben. Im März 2023 veröffentlichte der Weltklimarat (IPCC) seinen
sechsten Sachstandsbericht, der die gravierende Handlungslücke zur Einhaltung
des 1,5 Grad-Ziels deutlich unterstreicht.[iii] Das Fenster, in dem die
Erderwärmung noch auf 1,5 Grad begrenzt werden kann, wird sich in wenigen Jahren
schließen. Die bisher umgesetzten und geplanten Maßnahmen der Staaten reichen
nicht aus, um die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Ziele einzuhalten. Jedes
Zehntelgrad Erwärmung hat schwerwiegende Konsequenzen. Unter anderem werden
Ökosysteme unwiederbringlich zerstört, Biodiversität geht verloren, Konflikte um
natürliche Ressourcen nehmen zu, Extremwetterereignisse treten vermehrt auf und
Menschen verlieren ihre Existenzgrundlage und Heimat. Dies ist ein unhaltbarer
Zustand.
Als NAJU setzen wir uns für junge und marginalisierte Gruppen ein. Deshalb
fordern wir einen wirksamen und gerechten Klimaschutz. Ziel ist der Erhalt von
Lebensgrundlagen und einer intakten Natur. Deshalb muss eine sozial-ökologische
Transformation die globale Erwärmung schnellstmöglich bremsen und die Erfüllung
der Grundbedürfnisse aller Menschen sicherstellen.
Daher fordern wir:
- Eine ambitionierte und sozialgerechte Klimapolitik der Bundesregierung
sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene, die sich an dem
1,5 Grad-Ziel und den dafür aus wissenschaftlicher Sicht notwendigen
Maßnahmen orientiert. Dazu müssen die Treibhausgasemissionen in
Deutschland auf Nettonull bis 2035 gesenkt werden.
- Eine sozial- und naturverträgliche Energiewende mit einem vollständigen
Kohleausstieg in Deutschland bis 2030.
- Eine Reduktion der Treibhausgasemissionen auf europäischer Ebene um
mindestens 65 Prozent bis 2030 (im Vergleich zu 1990) sowie das Erreichen
der Klimaneutralität auf EU-Ebene bis 2040.
- Die politische und gesellschaftliche Anerkennung, dass der Globale Norden
als Hauptverursacher der Klimakrise die größte Verantwortung trägt,
während der Globale Süden am stärksten von den Folgen betroffen ist.
- Die politische und gesellschaftliche Anerkennung des Zusammenhangs
zwischen Klimakrise, Kolonialismus und Rassismus. Anhaltende koloniale
Machtstrukturen müssen konsequent abgebaut werden.
- Klimaschutz muss sozial gerecht gestaltet werden. Insbesondere FLINTA*-
Personen (Frauen, Lesben, Inter, Nichtbinär, Trans, Agender), BIPoC,
(mehrfach-)diskriminierte Menschen, Menschen in prekären Lebenssituationen
und junge Menschen müssen aus Perspektive der Gender-, Generationen- und
Klimagerechtigkeit stärker berücksichtigt werden.
- Die Sichtbarmachung von Perspektiven, Umweltbewegungen und
Widerstandskämpfen von BIPoC (Black, Indigenous and People of Color).
- Als Industrieland mit einer globalen Verantwortung für die Menschen in den
Ländern, die besonders von der Klimakrise betroffen sind, muss Deutschland
eine internationale Vorreiterrolle einnehmen. Dies gilt sowohl innerhalb
der Europäischen Union als auch bei den Vereinten Nationen.
- Das Ende des Raubbaus und der Ressourcenausbeutung insbesondere im
Globalen Süden zugunsten des Globalen Nordens.
- Umfangreiche Anpassungen an die bereits messbaren Auswirkungen der
Klimakrise zum Schutz der Menschen sowie der natürlichen Lebensgrundlagen.
- Eine Erhöhung der von Deutschland bereitgestellten internationalen
Klimafinanzierung auf mindestens 8 Milliarden Euro bis 2025. Das neue
Klimafinanzierungsziel ab 2025 muss sich an den Bedarfen der am stärksten
von der Klimakrise betroffenen Länder ausrichten. Deutschland muss sowohl
Gelder für die Emissionsminderung und Anpassung als auch zusätzliche
Mittel für den vereinbarten Fond für Klimawandelschäden und -verluste
bereitstellen.
- Die Anerkennung der gravierenden Folgen der Klimakrise als Fluchtursache
und die Gewährleistung von Schutz für flüchtende sowie schutzsuchende
Menschen.
- Den Schutz und die klimaresiliente Renaturierung von Ökosystemen als
natürliche Kohlenstoffsenken.
- Eine klimaverträgliche Agrarpolitik, die klimaresiliente Lebensräume
schafft und Biodiversität fördert. Zugleich muss die Zukunft für
Landwirt*innen gesichert sein.
- Eine klimaschützende und nachhaltige Mobilität. Insbesondere müssen dabei
die unterschiedlichen Voraussetzungen in Städten und auf dem Land
berücksichtigt und der Verkehrssektor sozialverträglich transformiert
werden.
- Die umfangreiche Sensibilisierung von Kindern, Jugendlichen und
Erwachsenen gegenüber der Klimakrise, ihrer Auswirkungen und der
notwendigen Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen im Rahmen schulischer und
außerschulischer Bildungsarbeit.
- Eine umfassende Beteiligung von Jugendlichen, jungen Erwachsenen und
marginalisierten Gruppen bei der Ausgestaltung von Klimaschutzmaßnahmen
auf allen Ebenen.
- Eine umfassende sozial-ökologische Transformation, die strukturelle
Probleme löst.
Erläuterung und Begründung unserer Forderungen
- Das zur Verfügung stehende CO2-Budget gibt laut Sachverständigenrat für
Umweltfragen den Rahmen für den angemessenen und notwendigen Beitrag
Deutschlands zur Einhaltung der Pariser Klimaziele vor. Bei linearer
Reduktion der Emissionen (basierend auf 2019) müsste Deutschland ab 2038
klimaneutral sein.[iv] Von Fridays for Future Deutschland beauftragt, hat
das Wuppertal Institut in einer Studie ermittelt, wie Klimaneutralität
bereits 2035 machbar wäre.[v] Dafür notwendig sind ambitionierte
Investitionen und ein gesellschaftlicher Umbau. So wird sichergestellt,
dass der deutsche Anteil am verbleibenden globalen CO2-Budget für das 1,5
Grad-Ziel nicht überproportional beansprucht wird.
- Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist essenziell für das Erreichen
ambitionierter Klimaziele. Insbesondere der Ausbau von Windkraft- und
Photovoltaikanlagen muss dazu massiv vorangetrieben werden. Eine
vollständige klimaneutrale Stromversorgung mit Erneuerbaren bis 2035 ist
umsetzbar[vi]und von elementarer Bedeutung. Dazu braucht es erhebliche
Investitionen in die Forschung zu erneuerbaren Energien sowie zu Leitungs-
und Speichertechnologien, den großflächigen Ausbau dieser und den Abbau
struktureller und bürokratischer Hürden. Um Erneuerbare Energien mit
Arten- und Naturschutz zu vereinen, müssen Herausforderungen deutlich
adressiert und abgewogen werden, Fachpersonal befragt und regionale
Lösungen umgesetzt werden.[vii] Die Einbindung der Bürger*innen vor Ort
ist fundamental für die Akzeptanz der notwendigen Energiewende.Neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien muss der Ausstieg aus fossilen
Energiträgern schnell eingeleitet werden. Dafür muss Deutschland bis 2030
aus der Kohleverstromung aussteigen.
- Mit dem Green Deal hat sich die Europäische Union auf den richtigen Weg
gemacht. Mit ihrer langfristigen Klimastrategie legt sich die EU fest, bis
2050 Klimaneutralität erreichen zu wollen. Die Erhöhung des europäischen
Reduktionsziels bis 2030 auf 55 Prozent kann hier nur ein erster Schritt
sein und muss zeitnah weiter auf 65 Prozent netto (d.h. ohne Anrechnung
von Senken) angehoben werden, um auch international ein wichtiges Zeichen
zu setzen.[viii]
- Die Länder und Menschen des Globalen Nordens müssen sich über ihre Rolle
als Hauptverursacher*innen der Klimakrise bewusst werden, dementsprechend
Verantwortung übernehmen und für Schäden und Verluste aufkommen. Sie sind
historisch für den größten Anteil der Treibhausgasemissionen
verantwortlich und profitieren wirtschaftlich am meisten.[ii] Die Folgen
der Klimakrise spüren jedoch nicht alle Länder gleichermaßen. Länder und
Menschen des Globalen Südens sind am stärksten von der Klimakrise
betroffen. Die von Ländern des Globalen Nordens (insbesondere der EU)
forcierten Freihandelsabkommen verschärfen und verfestigen diese
Ungleichheiten zusätzlich, indem beispielsweise Umweltprobleme in Länder
des Globalen Südens ausgelagert werden.
- Im Zuge des Kolonialismus haben Europäer*innen andere Menschen massenweise
verschleppt, versklavt und getötet. Dieses Unterdrückungssystem beruhte
auf einer Rassifizierung von Menschen, das heißt auf der Erfindung von
hierarchisch geordneten „Menschenrassen“. Dabei ordneten sich weiße
Menschen selbst positive Eigenschaften zu, den kolonialisierten,
versklavten Menschen ordneten sie hingegen gegensätzliche negative
Eigenschaften zu. Neben der Einteilung in Schwarze und weiße Menschen
wurde die Welt in weitere hierarchisch geordnete, binäre Gegensatzpaare
geteilt, unter anderem in die Kategorien Mann und Frau, heterosexuell und
homosexuell, nicht be_hindert und be_hindert usw. Durch diese koloniale
Einteilung der Welt schufen sich die Europäer*innen eine Rechtfertigung,
um die kolonisierten Menschen auszubeuten, zu unterdrücken und
abzuwerten.[ix]
Die Bildung von Gegensatzpaaren machte auch vor der Natur keinen Halt:
weiße Menschen schrieben kolonisierten Menschen zu, primitiv und naturnah
zu sein. Zugleich waren sie der Ansicht, dass sie selbst durch ihr
rationales Denken von der Natur entkoppelt seien. Die Natur wird in diesem
Denken zu etwas Gestaltbaren und Beherrschbaren. Zugleich wird verleugnet,
dass der Mensch als biologisches Wesen Teil von der Natur ist und von
natürlichen Ökosystemen abhängig ist. Durch die Abwertung von Natur hat
das koloniale Denken die Ausbeutung unserer natürlichen Lebensgrundlagen
zugunsten von Profiten ermöglicht. Die Klimakrise hat ihre Wurzeln in
diesem Denken.-
Diese Zusammenhänge von Klimakrise, Kolonialismus und Rassismus
müssen anerkannt und beendet werden, um Klimagerechtigkeit zu
schaffen.[ix]
-
- Diskriminierungen wie Rassismus, Klassismus, Sexismus, Ableismus
(Diskriminierung von be_hinderten Menschen) oder Ageism (Diskriminierung
aufgrund des Alters) stellen soziale Ungleichheits- und Machtverhältnisse
dar und wirken intersektional.[x] Sie drängen bestimmte gesellschaftliche
Gruppen an die gesellschaftlichen Ränder. Von (Mehrfach-)Diskriminierung
betroffene Gruppen haben daher in der Regel weniger ökonomische Ressourcen
und gesellschaftliche Einflussmöglichkeiten. Sie können sich selbst nicht
im gleichen Maße vor Klimafolgen absichern und werden in staatlichen
Maßnahmen nicht unbedingt gleichermaßen berücksichtigt. So bekommen
marginalisierte Gruppen die Folgen der globalen Erwärmung am stärksten zu
spüren. Sie sind von der Klimakrise besonders betroffen, obwohl sie wenig
zur Erderwärmung beigetragen haben.[xi]
Gendergerechtigkeit ist eine wichtige Voraussetzung für
Klimagerechtigkeit, da FLINTA*-Personen (Frauen, Lesben, Inter,
Nichtbinär, Trans, Agender) vor allem Personen aus dem Globalen Süden,
sehr stark von der Klimakrise betroffen sind.[xii] Insbesondere in den
Bereichen der Organisation der Erwerbs- und Sorgearbeit, des Zugangs zu
Ressourcen, Gesundheitsvorsorge und politischer Beteiligung sind diese
stark benachteiligt. Sie haben meist einen geringeren sozialen Status,
sowie weniger politische und wirtschaftliche Macht als Männer. Dies geht
insbesondere auf die historisch bedingte androzentrische
(männerzentrierte) Sichtweise in Institutionen und Politik zurück.
Deswegen fordern wir das Aufbrechen der patriarchalen Strukturen sowie
eine verstärkte Sichtbarkeit und Unterstützung von FLINTA*-Personen,
(mehrfach-) diskriminierte Menschen sowie Menschen in prekären
Lebenssituationen.
- Heutzutage stehen vor allem weiße Klima- und Umweltbewegungen im
öffentlichen Fokus. Bewegungen von BIPoC (Black, Indigenous and People of
Color) werden dabei meistens außer Acht gelassen und vernachlässigt – nur
selten wird in den Medien über sie berichtet. Jedoch kämpfen BIPoC-
Aktivist*innen schon seit Jahrzehnten gegen die Auswirkungen der
Klimakrise sowie gegen strukturelle Unterdrückungsmuster. Die Arbeit und
das Engagement von insbesondere jungen BIPoC-Aktivist*innen müssen
sichtbar gemacht und anerkannt werden, da gerade sie besonders stark von
den Folgen der Klimakrise betroffen sind. (Einige Kurzvorstellungen von
BIPoC-Klimaaktivist*innen können in der kostenlosen Broschüre
„Kolonialismus und Klimakrise. Über 500 Jahre Widerstand“ nachgelesen
werden.[ix]) Auch Widerstandsbewegungen von BIPoC bekommen wenig
Aufmerksamkeit, obwohl sie sich schon früh bildeten. Widerstandsbewegungen
von BIPoC-Aktivist*innen fordern, Umweltprobleme nicht isoliert zu
betrachten. Stattdessen sollten sie als soziale Probleme behandelt werden,
die ihren Ursprung in gesellschaftlichen Hierarchien und
Ausbeutungssystemen haben. Durch die öffentliche Vernachlässigung von
BIPoC-Protesten wird das falsche Bild geschaffen, Menschen aus dem
Globalen Süden seien nicht am Umwelt- und Klimaschutz interessiert. Dies
ist auf die Ideologie des weißen Naturschutzes zurückzuführen, die im
Kolonialismus verwurzelt ist.[ix]
- Deutschland als einer der größten globalen Emittenten und als Land mit
starken ökonomischen und technologischen Möglichkeiten trägt eine
besondere Verantwortung. Deshalb muss Deutschland auch innerhalb der EU
und auf internationaler Ebene für ambitionierte Reduktionsziele und
konsequente Klimaschutzmaßnahmen eintreten. Insbesondere bei der
Ausgestaltung von internationalen Handelsmechanismen mit CO2-Emissionen
fordern wir die Bundesregierung auf, für eine robuste, faire und sichere
Ausgestaltung einzutreten, damit es, anders als unter dem Kyoto-Protokoll,
nicht zu massivem Missbrauch kommt. Dies bedeutet, dass die
Anrechenbarkeit von Zertifikaten aus dem Kyoto-Mechanismus stark
reglementiert und eingeschränkt werden muss. Zudem müssen Doppelzählungen
und Schlupflöcher im Regelwerk ausgeschlossen werden und eine zusätzliche
Reduktion der CO2-Emissionen erwirkt werden.[xiii]
- Länder und Menschen des Globalen Nordens profitieren von der
Ressourcenausbeutung des Globalen Südens. Dies hat seinen Ursprung in der
Kolonialzeit und hält bis heute an. Eine große Rolle spielt außerdem das
kapitalistische System, dass insbesondere auf Profit und Gewinn aus ist.
Unter anderem werden zugunsten des Globalen Nordens Rohstoffe sehr günstig
importiert.[ix] So kommt es zu einer Ausbeutung von Tieren, Pflanzen,
Menschen und Ökosystemen des Globalen Südens, die die Kosten unseres
Lebensstils tragen.[xiv]
- Die Auswirkungen der Klimakrise sind bereits überall auf der Welt -
wenn auch in ungleichem Maße - zu spüren. Szenarien zu erstellen, um
diese greifbar zu machen, kann nur ein erster Schritt sein. Die
aktive und zeitnahe Einrichtung beziehungsweise Anpassung von
Entwässerungsanlagen oder Warnsystemen kann nicht schnell genug
erfolgen. Grundsätzlich müssen Städte- und Häuserbau ebenso neu
gedacht werden, wie viele andere Wirtschaftsbereiche auch.[xv] Eine
besondere Bedeutung bei der Stadtentwicklung kommt dabei der
Entsieglung von Flächen und dem Schaffen von Blau-Grüner-
Infrastruktur insbesondere in dicht bebauten Stadtteilen zu. Gerade
in sozioökonomisch schwächeren Stadtteilen gibt es häufig einen
hohen Anteil versiegelter Flächen, die sich im Sommer besonders
stark aufheizen und so zu einem schlechteren Mikroklima führen.
Aktiver Naturschutz sowie die Renaturierung und der Erhalt von
Ökosystemen wie (Au-)Wäldern oder Mooren tragen aktiv zur Prävention
bei. Dieser Umbau bietet durchaus Chancen: Es entstehen neue
Möglichkeiten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Zusammenlebens. Hinzu kommt: Wer jetzt proaktiv investiert und
Anstrengungen unternimmt, die Klimakrise einzudämmen, zahlt heute
einen geringeren finanziellen sowie gesellschaftlichen Preis, als
wenn in einigen Jahren ad-hoc Schutz- und Anpassungsmaßnahmen
umgesetzt werden müssen.
- Die Auswirkungen der Klimakrise sind bereits überall auf der Welt -
- Bereits jetzt wird deutlich, dass die größten Schäden und Verluste
diejenigen Länder treffen, die einen sehr geringen Anteil zu den globalen
Treibhausgasemissionen beigetragen haben und zugleich nicht über die
notwendigen Ressourcen verfügen, sich gegen die Schäden präventiv zu
schützen. Deutschland muss als reiche Industrienation seine Verantwortung
anerkennen und einen relevanten Beitrag zur Klimafinanzierung leisten.
Dies muss in den Bereichen Emissionsminderung, Anpassung sowie
Klimawandelschäden und -verluste erfolgen. Bislang hält die Gruppe
wohlhabender Länder ihr Versprechen nicht, von 2020 bis 2025 jährlich 100
Milliarden US-Dollar Klimafinanzierung für Länder des Globalen Südens
bereitzustellen. Die Bundesregierung muss sich für die Erfüllung des Ziels
stark machen und den eigenen Anteil von mindestens 8 Milliarden US-Dollar
pro Jahr bis 2025 absichern. Das neue Klimafinanzierungsziel ab 2025 muss
sich an den Bedarfen der am stärksten von der Klimakrise betroffenen
Länder ausrichten. Ein deutscher Anteil von 10 Prozent an der Gesamtsumme
muss sichergestellt werden.[xvi] Darüber hinaus muss sich die
Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Staatengemeinschaft die
internationalen Finanzströme im Sinne des Klima- und Artenschutzes
kanalisiert und steuert.
- Bereits heute beeinflusst die Klimakrise und die daraus resultierende
Umweltzerstörung die Lebensumstände vieler Menschen so sehr, dass sie
gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Sowohl nach der Genfer
Flüchtlingskonvention als auch nach dem deutschen Asylrecht steht diesen
Menschen bislang kein Schutz zu. Die Bundesregierung muss auf
internationaler Ebene dafür eintreten, dies zu ändern und das nationale
Recht anzupassen.[xvii]
- Die Zusammenhänge zwischen dem Verlust der Artenvielfalt und der
Klimakrise sind eindeutig. Untrennbar und sich gegenseitig verstärkend
stellen beide Entwicklungen eine Krise von existenzieller Bedrohung dar.
Der Schutz von Ökosystemen und biologischer Vielfalt muss künftig viel
mehr Raum bei der Ausgestaltung von Klimaschutzmaßnahmen einnehmen als
bisher. Ohne konsequente Naturschutz- und Renaturierungsmaßnahmen können
die Emissionsminderungsziele nicht erreicht werden. Dies bestätigen die
Berichte des Weltbiodiversitätsrat (IPBES)[xviii] und des Weltklimarats
(IPCC)[xix]. Zudem sind intakte Ökosysteme notwendig, um die Resilienz
gegenüber dem sich ändernden Klima zu erhöhen. Natürliche Lösungen
(sogenannte NBS, Nature-based Solutions) müssen in der Debatte um
Klimaschutzmaßnahmen stärker als bisher bedacht werden. Gleichzeitig
müssen Klimaschutzmaßnahmen hinsichtlich ihres Einflusses auf die
Biodiversität überprüft werden.
- Laut IPCC-Sonderbericht 2019 ist die Landnutzung weltweit für 23 Prozent
aller Emissionen verantwortlich.[xix] Die Landwirtschaft ist somit
weltweit einer der Haupttreiber der Klimakrise und hat gleichzeitig massiv
mit deren Folgen zu kämpfen. Die NAJU trägt die Forderungen der
Zukunftskommission Landwirtschaft mit[xx] und setzt sich für einen
Brückenschlag zwischen Naturschützer*innen und Landwirt*innen ein. Eine
klimaresiliente Landwirtschaft sorgt nicht nur für Lebensmittelsicherheit
weltweit und kann so die Versorgung der Weltbevölkerung zukünftig
garantieren, sondern sichert auch Arbeitsplätze. Darüber hinaus ist der
Umbau zu einer resilienten, fairen und naturnahen Landwirtschaft der
Schlüssel für den Erhalt der Biodiversität.[xxi]
- Der Verkehrssektor ist der einzige Sektor, in dem die CO2-Emissionen in
Deutschland seit 1990 nicht gesunken sind.[xxii] 2019 wurden noch mehr als
ein Fünftel der Emissionen im Verkehr verursacht. Die Wende zu einer
postfossilen ressourcensparenden Mobilität ist nicht nur aus Sicht des
Klimaschutzes, sondern auch aus gesundheitlichen und sozialen Gründen
überfällig. Der Straßenverkehr macht in Deutschland fast 95 Prozent der
Emissionen in diesem Sektor aus,[iv] sodass hier der entscheidende Hebel
besteht. Ab 2030 sollen keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor mehr
zugelassen werden. Allerdings kann die Lösung nicht sein, alle Fahrzeuge
durch solche mit Elektro-Antrieb zu ersetzen. Einhergehend mit einer
Preisreduzierung und dem Ausbau des ÖPNV sowie der Rad- und
Fußverkehrsinfrastruktur, muss der individuelle Automobilverkehr deutlich
reduziert werden. Um längere Distanzen zu überwinden, muss die Bahn in der
Taktung, der Preisgestaltung sowie dem Service angepasst werden.
Kurzstreckenflüge bis 1.000 Kilometer müssen zeitnah ersetzt werden. Damit
auch alle Menschen den ÖPNV tatsächlich nutzen können, muss dieser mitsamt
seiner Infrastruktur flächendeckend barrierefrei gestaltet werden und
strukturelle Benachteiligungen wie die schlechtere Anbindung von
sozioökonomisch vermeintlich schwächeren Stadtteilen und Regionen abgebaut
werden. Der ÖPNV und die entsprechende Infrastruktur wie Bahnhöfe müssen
auch sichere Orte insbesondere für von (Mehrfach-)Diskriminierung
betroffenen Menschen werden, um eine alternative zum Motorisierten
Individualverkehr zu werden. Wir verweisen auf die Positionspapiere der
NAJU[xxiii] sowie des Deutschen Bundesjugendrings[xxiv] zur
Mobilitätswende.
- Um auf die Herausforderungen des gesellschaftlichen, technologischen und
kulturellen Umbaus angesichts der Klimakrise angemessen reagieren zu
können, sind Verständnis und Handlungskompetenz in der Breite der
Gesellschaft notwendig. Bildungsarbeit im formellen sowie informellen
Bereich ist von größter Bedeutung bei der Gestaltung der Gesellschaft in
Zeiten der Klimakrise. Die Klimakrise und ihre Auswirkungen müssen
zentrale Inhalte in Bildungsplänen und Rahmenlehrplänen sein. Von
besonderer Bedeutung ist dabei nicht nur der bloße Umgang mit Kennzahlen
und Fakten, sondern auch ein lösungs- und handlungsorientierter Ansatz.
Nur mit der Kompetenz, sich Herausforderungen zu stellen, diese zu
moderieren und unter Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven gezielt
anzugehen, kann die Gesellschaft der Klimakrise wirkungsvoll begegnen. Das
Konzept einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung stellt hierfür die
Grundlage dar.[xxv]
- Besonders vulnerable Gruppen müssen umfassend an politischen und
gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Neben
anderen marginalisierten Gruppen werden die Klimafolgen insbesondere
heutige junge und zukünftige Generationen treffen, die keine direkte
Verantwortung für die enormen Treibhausgasemissionen tragen. Sie
werden noch viele Jahre in der Welt leben, die ihnen übergeben wird
und wären bei fortschreitender Klimakrise stark in ihren
Grundrechten eingeschränkt. So hat es das Bundesverfassungsgericht
in seinem wegweisenden Urteil im Frühjahr 2021 festgestellt.[xxvi]
Nur durch umfassende Beteiligungsmöglichkeiten können sie die Welt
von morgen, in der sie leben werden, heute schon
mitgestalten.[xxvii] Diese Beteiligung muss auf allen politischen
Ebenen gewährleistet sein, sei es durch Abschaffung des
Wahlalters[xxviii] oder durch Schaffung entsprechender Gremien und
Posten.
- Besonders vulnerable Gruppen müssen umfassend an politischen und
- Unsere Ressourcen auf dem Planeten sind begrenzt, weshalb
grenzenloses Wachstum eine Illusion ist. Zugleich führt das Streben
nach immer größeren Profiten zu einer immer größeren
Ungleichverteilung des Wohlstandes und zerstört Natur und Umwelt. Um
Klimagerechtigkeit in unserer Gesellschaft zu schaffen, braucht es
eine umfassende gesellschaftliche Transformation.[xxix] Technische
Innovationen allein können die Klimakrise nicht lösen.
Umweltprobleme können nicht isoliert betrachtet werden, sondern
müssen als soziale Phänomene verstanden werden. Ökologische und
soziale Aspekte können sich wechselseitig verstärken – im Positiven
wie im Negativen.
- Unsere Ressourcen auf dem Planeten sind begrenzt, weshalb
Wir verweisen auf die anderen Positionspapiere der NAJU sowie auf die Positionen
des NABU (Naturschutzbund Deutschland) e.V.
[i]Zum „Capitalocene”:
Moore, J. W. 2016: Anthropocene or Capitalocene? Nature, history, and the crisis
of capitalism. In: Moore, J. W. (ed.) 2016: Anthropocene or Capitalocene?
Nature, history, and the crisis of capitalism. Oakland: PM Press, S. 1-13.
Zum „Racial Capitalocene“:
Davis, J., A. A. Moulton, L. van Sant und B. Williams 2019: Anthropocene,
Capitalocene, ... Plantationocene?: A Manifesto for Ecological Justice in an Age
of Global Crises. Geography Compass 13 (5), doi: 10.1111/gec3.12438 .
Sharpe, C. E. 2016: In the wake. On Blackness and being. Durham: Duke University
Press.
Vergès, F. 2017: Racial capitalocene. In: Johnson, G. T. and A. Lubin (eds.):
Futures of black radicalism. London/New York : Verso, S. 72-82
[ii] Hickel, J. 2021: The anti-colonial politics of degrowth. Political
Geography 88 https://doi.org/10.1016/j.polgeo.2021.102404 . URL, aufgerufen am
05.09.2023.
Chancel, L., T. Piketty 2015: Carbon and inequality: from Kyoto to Paris. Trends
in the global inequality of carbon emissions (1998-2013) & prospects for an
equitable adaptation fund. Paris: Paris School of Economics. URL, aufgerufen am
05.09.2023.
[iii] IPCC 2023: Climate Change 2023: Synthesis Report. Contribution of Working
Groups I, II and III to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental
Panel on Climate Change. Core Writing Team, H. Lee and J. Romero (eds.). Genf:
IPCC Sekretariat, doi: 10.59327/IPCC/AR6-9789291691647 . URL, aufgerufen am
05.09.2023.
[xviii] IPBES 2019: Global assessment report on biodiversity and ecosystem
services of the Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and
Ecosystem Services. E. S. Brondizio, J. Settele, S. Díaz, and H. T. Ngo (eds.).
Bonn: IPBES Sekretariat, https://doi.org/10.5281/zenodo.3831673 . URL,
aufgerufen am 05.09.2023.
[xix] IPCC 2019: Summary for Policymakers. In: Climate Change and Land: an IPCC
special report on climate change, desertification, land degradation, sustainable
land management, food security, and greenhouse gas fluxes in terrestrial
ecosystems. P.R. Shukla, J. Skea, E. Calvo Buendia, V. Masson-Delmotte, H.- O.
Pörtner, D. C. Roberts, P. Zhai, R. Slade, S. Connors, R. van Diemen, M. Ferrat,
E. Haughey, S. Luz, S. Neogi, M. Pathak, J. Petzold, J. Portugal Pereira, P.
Vyas, E. Huntley, K. Kissick, M. Belkacemi, J. Malley, (eds.). Genf: IPCC
Sekretariat. URL, aufgerufen am 05.09.2023.